Ich hatte mir vorgenommen, jeder sternenklare Nacht auch intensiv zu nutzen und mich nicht auf die Aurora-Vorhersagen zu verlassen. Im Foyer lagerten einige der wenigen Mittgäste und der Portier prüfte alle 20 Minuten die Lage draußen. Ich machte mich zu einer Aufklärungsrunde um den See auf, um ein dunkles Fleckchen mit Vordergrund zu finden. Diese Suche gestaltete sich gar nicht so einfach, wie es noch am Tage schien, im Dunkeln war es schon eine Herausforderung, eine geeignete Stelle zum Parken zu finden (wegen des Schnees am Straßenrand) und auch die weitere Sicht ließ sich aus dem Auto beim Fahren schlecht beurteilen. Stellen, die am Tage noch gut aussahen, gingen in der Nacht plötzlich wegen Lichter in der Nähe gar nicht. Die Runde blieb erfolglos, kurz vor Mitternacht steuerte ich wieder das Hotel an um mich bei einem Tee aufzuwärmen. Um halb eins gingt dann helle Aufregung durch die Lobby. Tatsächlich kräftiges grünes Leuchten am Himmel! Leider so hoch im Zenit, dass sich damit so aus dem Stand fotografisch nicht viel anfangen ließ. Ich stürzte also ins Auto, um dem störenden Licht hinterm Hotel zu entkommen. Es war wohl die Nacht mit der stärksten Polarlicht Aktivität meiner ganzen Tour.
Leider aber zog eine dünne Schleierwolken-schicht über den Himmel. Dadurch streute das Nordlicht stark und wurde gedämpft. Auch nur die hellsten Sterne waren zu sehen. So kam es, dass alles ringsum recht hell war, für eine mondlose Nacht und über allem ein Schimmer von Grün lag. Fast als würde man die Welt durch ein Nachtsichtgerät betrachten. Der Wolkenprognose nach konnte man aber schon darüber froh sein, der Rest Island hatte wohl noch schlechtere Bedingungen. Leider fand ich auch erst am nächsten Tag mit Dimmuborgir ein Motiv, zu dem auch das diffuse Leuchten hoch am Himmel gut gepasst hätte.
Der nächste Tag startete recht trübe und ich nutze ihn entspannt zu einer neuen Runde um den See.
Durch Dimmuborgir machte ich eine kleine Wanderung, das erste Stück war noch gut gängig aber etwas vereist. Davon lies ich mich täuschen und startete ohne Schneeschuhe und Gamaschen . Darüber ärgerte ich mich die ganze restliche Stunde der Runde, während ich durch den knietiefen Schnee stapfte! Fotografisch lohnte sich aber eigentlich nur das kleine Stück bis in den „Burghof“.
Einen Versuch den Dettifoss zu erreichen brach ich, nach der dritten Schneewehe, etwas zwei Kilometer nach dem Abzweig von der Ringstraße ab. Ich wollte doch nicht riskieren, irgendwo im Nirgendwo festzustecken. Später ärgerte ich mich über den mangelnden Ergeiz – aber nicht lange, dazu jedoch später.
Ansonsten war noch die Lavagrotte Grjótagjá interessant. Vor allem, weil ich sie fast übersehen hätte. Nur ein unscheinbares Loch im Schnee. Innen drin herrscht feuchtwarmes Klima, eine nette Abwechslung zu draußen. Zum Baden sollte das Wasser zu heiß sein, ich probierte es aber nicht. Fotografisch nicht spektakulär aber doch nett. Als ich wieder herauskam schien inzwischen die Sonne und der Abend brachte noch richtig nette Lichtstimmung. Ich übernachte im Hotel Reynihlid in Reykjahlíð. Trotz Geringer Aurora-Aktivität startete ich zur nächtlichen Erkundungstour. Vorher fragte ich beim Portier allerdings (das machte ich in jedem Hotel) danach, ob nachts die Tür offenbliebe. Das blieben sie immer, manchmal passte sogar der Zimmerschlüssel, um so überraschter war ich jedoch, als es diesmal hieß, er wäre bis 2 Uhr im Dienst, danach würde er gehen und müsse abschließen. Ich versprach bis zwei zurück zu seien. Er bat darum, dass ich mich meldete wenn ich zurück wäre, er würde sonst warten und wolle das aber nicht vergeblich, nur weil ich inzwischen schon unbemerkt zurück sein. Es blieb übrigens die einzige Tür mit Schließzeiten (zumindest an Hotels). Der Himmel war zwar teilweise klar, Polarlicht zeigt sich aber keines.
Der nächste Tag sollte sich drei Wasserfällen widmen. Den ersten, der Goðafoss kannte ich ja schon, mich interessierte erstmal der Aldeyjarfoss. Dazu folgte ich eine Stunde und ca 40 km lang der reichlich vereisten 842. Dort wo sie abknickt und zur F26 wurde prangte das Schild „Impassable“. Es fehlten noch 4 km. Ich versuchte mein Glück noch ein Stück, wollte sehen wie weit man heran kommen würde, möglicherweise hätte man ja die letzten 1 oder 2 Kilometer auch laufen können. Ein paar hundert Meter weiter verschwand die Straße aber in einem steilen, abschüssigen und völlig vereistem Hang. Unmöglich. Vorsichtig wendete ich also und folgte meinen Spuren zurück. Nach einem kleinen Stück aber war in einer mickrigen Schneewehe Schluss. Okay, einen Meter zurück, Differentialsperre (so eine elektronische Spielerei) rein, ESP raus, zweiter Versuch. Nach einem Meter ging gar nichts. Nach nicht mal zum Wühlen bekam man dieses Spielmobil. Die Differentialsperranzeige leuchtete tapfer im Display, davon zu merken war aber nichts! Auch trotz ausgeschaltetem ESP bekam ich die Räder nicht mal ordentlich zum Wühlen und in Schwung. Ich zweifelte sogar daran, dass überhaupt alle zwei Achsen getrieben wurden. Eine Runde ums Auto zeigte eigentlich nichts dramatisches. Ich startete die Maschine, legte den Vorwärtsgang ein, dann stieg ich aus, um mir die Bescherung anzusehen. Im seichten Schnee drehten das linke Vorderrat und das rechte Hinterrad unbekümmert vor sich hin, die anderen beiden Räder standen. So viel zur Differentialsperre! Ein paar Meter neben der Straße lag ein Stück Böschung frei vom Schnee. Von dort holte ich lose Steinchen und warf sie vor die drehenden Räder. Das hinten bekam Traktion und blieb stehen, das vorn drehte munter weiter. Also schlug ich die Räder voll ein, schaufelte zwei Hände voll Splitt vors Rad und drehte dann zurück. Niente, Nada, es ging nicht. Na gut, dann auf die harte Tour. Ich entschloss mich einen der Schneeschuhe aus dem Kofferraum zu holen um das Splittschaufeln einfacher zu machen und dann auch das Auto weiter ausgraben zu können. Ich drückte also die Entriegelungstaste, hörte das Klacken, warf die Tür zu stapfte nach hinten und – hatte mich bravorös ausgesperrt! Ein kurzer Anflug von Panik… Da stand ich nun, nur die dünneren Schuhe, nur eine Weste, keine warme Jacke, vorm verschlossenen Auto. Das Telefon drin in der Ladung! So was von Dämlichkeit war ja auch kaum zu übertreffen. Kaum, naja, es kam noch dazu, dass die Notrufnummer des Autovermieters auf dem Schlüsselanhänger stand. Ja, genau dem im verschlossenen Auto. Wutschnaubend stapfte ich also los in Richtung des einen knappen Kilometer entfernt sichtbaren Farmhauses. Das munter vor sich hin tuckernde Auto mit seinem sich still vor sich hindrehenden Vorderrad zurücklassen! Ich schalt mich einen Esel und deutlicheres, während die Schuhe langsam von feucht auf klitsch nass wechselten. Am ersten Haus half alles Klingeln und Klopfen nichts. Am zweiten stand ein Auto vor der Tür, Grund zur Hoffnung also! Aufs klingeln reagierte aber auch hier Niemand. Energisches Klopfen, dann Geräusche hinter der Tür, dann öffnete eine ältere Dame die Tür. In Island sprechen alle Leute Englisch. Alle? Alle, bis auf drei, und die sollte ich nun alle drei kennenlernen. Wobei ihr Englisch schon deutlich umfangreicher war als mein Isländisch. Wir sollten mal auf ihren Man warten.
Ich wolle telefonieren?
Klar kein Proble! Sie reichte mir ein Telefon. Nur, wen zum Henker sollte ich anrufen?
Ich bräuchte einen Mechaniker?!
Klar irgendwo die Straße zurück.
Ob wir den anrufen können…?!
Englisch zu ende, mein Isländisch schon lange. Inzwischen malte ich mir aus, was passieren würde wenn das Auto wegen des darunter tauenden Schnees sich senken würde und plötzlich doch Traktion bekäme… Immerhin konnte man es aus dem Fenster sehen und es stand noch treu und verlassen in seiner Schneewehe. Nach einer halben Stunde kam ihr Gatte. Der erklärte mir auf Isländisch, dass er kein Englisch spräche, nur deutsch und Französische gelernt hätte. Das musste aber wirklich schon lange her gewesen sein, den hängen geblieben war davon nichts. Beide waren aber sehr freundlich zu mir als zunehmend ernsthaft verzweifelten „útlendingur“ (Ausländer). Ich wurde in den Toyota Hilux vorm Haus eingeladen (das ältere Modell mit echter Differentialsperre, hatte ich in Afrika 😉 und wir rumpelten zu meinem Auto. Als wir dort ankamen lief der Motor, das Rad dreht sich und eine feine Rauchsäule steigt vom Rad auf. Der Alte zeigt mir freundlich sein Abschleppseil, ich ihm die verschlossenen Türen. Er war ein echter kühler Isländer und brach nicht in schallendes Gelächter aus! (Wofür ich ihm ehrlich dankbar war.) Ich prüfte an der Reifenflanke die Temperatur, die schien mir aber völlig normal. Dann konnte es eigentlich nur Lager oder Antrieb sein. Nicht auszudenken wenn das auch noch kaputt ging. Was für eine dämliche Situation! Wir fuhren zum Haus zurück und in meinem Kopf begannen sich schon alle möglichen Schreckensszenarien zu entwickeln. Wir suchten im Telefonbuch (das sind die dicken gedruckten Verzeichnisse von Telefonnummer, in Island sortiert nach Vornamen) nach der Nummer der Vermieters und der Alte telefonierte, bekam eine weitere Nummer und telefonierte noch ein wenig. Ich bekam wenig vom Inhalt mit. Die Dame des Hauses holte extra noch ein Isländisch deutsch Wörterbuch und präsentierte mir stolz das Wort „Automechaniker“. Wunderbar, jetzt musste das Auto mit dem Abbrennen nur noch warten, bis der Techniker da wäre! Die Leute waren echt sehr freundlich, Apfelkuchen und Kaffee konnte ich jedoch nicht so recht genießen. Nach wirklich nur 20 Minuten war der Mechaniker am Auto. Das Qualmen am Vorderrad hatte aufgehört und es drehte sich noch immer.
Dafür war der Schnee jetzt voll schwarzer Gummistückchen und den Reifen zierte eine umlaufende, fingertiefe Nut, die der Splitt hineingefräßt hatte. Auch das noch! Von da ab aber ging alles schnell und unspektakulär. Der Mechaniker öffnete das Auto wie man Autos halt so öffnet. Der alte Mann zog mit dem Hilux mal kurz an und mein Auto war draußen. Die Nut war nur genau so tief wie die volle Profiltiefe des Winterreifens. Damit versprach der Reifen behelfsweise rollfähig zu bleiben. Der Mechaniker bedankte sich für die geforderten 5000 Kronen. Ich bedankte mich für die Gastfreundschaft und die Hilfe („Danke“ gehört durchaus zu meinem begrenztem Isländisch Wortschatz!) und nach nur etwas mehr als einer Stunde rollte ich wieder nordwärts über die Piste in Richtung Ringstraße.